Biikebrennen und Petritag auf Sylt

oder
Die Erlebnisse eines Knaben zwischen Neujahr und Petritag

von Hubertus Jessel - 1949


Petritag war wieder einmal vorüber. Als ich am frühen Morgen des nächsten Tages zur Arbeit schritt, fand ich auf der Straße ein in den Schnee getretenes Notizbuch. Ich blätterte darin, um den Besitzer ausfindig zu machen, fand aber nichts, als nachfolgende, recht seltsame und mir unverständliche Aufzeichnungen, Worte und Hinweise, die die Kalenderseiten vom 1. Januar bis zum 20. Februar füllten:

3. Januar: Unser Tannenbaum und ein großer Plan -
8. Januar: Große Konfirmandenbesprechung -
12. Januar: Eine Länge aus Großvaters alter Seemannspfeife
14. Januar: Das Journal der Brigg "Inge Maria" von Sylt und die zweite Pfeifenlänge
25. Januar: Ein Erlebnis auf der Heide
29. Januar: Die dritte Pfeifenlänge
30. Januar: Ein seltsamer Traum
6. Februar: Die kranke Rottgans
10. Februar: Eine ungewöhnliche Konfirmandenstunde
18. Februar: Vorbereitungen und ein glücklicher Fund
20. Februar: Der letzte Tag mit Baumeister Jan Peters

Meine Neugier über die Bedeutung der Aufzeichnungen wuchs um so mehr, je weniger ich mir zusammenreimen konnte, welcher Sinn hinter den Worten steckte. Ja, das Notizbuch begann, mich mit seinem unerklärlichen Dasein bis in meine Träume hinein zu verfolgen. Wer weiß, was noch geworden wäre, wenn mir nicht ein Zufall den Besitzer des Büchleins, einen prächtigen 14jährigen Jungen, ins Haus geführt hätte. Er erkannte mit offenem Munde sein verlorenes Eigentum und bat um Rückgabe. Ich erklärte ihm nun, wie sehr mich die Neugier plage und lud ihn für den Abend zum Aufsitzen bei mir ein, damit er mir das Geheimnis, das für mich um seine Notizen lag, löse.

So lernte ich Niels Klasen kennen, der mir ein lieber Freund wurde. Er erzählte mir im Verlauf vieler Abende die Geschichten und Erlebnisse, von denen nur die kleinen Notizen in seinem Büchlein vermerkt waren und verschaffte mir damit einen tiefen Einblick in das Leben der Sylter. Was Niels Klasen erzählte, habe ich mit seiner Erlaubnis zusammengeschrieben, damit alle Jungen unserer Heimat am Meer erkennen, daß Biikebrennen und Petritag Friesenfeste aus uralter Überlieferung sind, und daß die Konfirmanden und die älteren Jahrgänge der Schulen aus der ehrwürdigen Heimatgeschichte unseres Landes die Aufgabe finden, jährlich gewaltige Biiken zu entflammen.


3. Januar -
Unter Tannenbaum und ein großer Plan

Niels trat auf den Hof. Nach der Notiz in seinem Büchlein war es am 3. Januar 1946. In der Ecke, von wirbelndem Schnee schon über und über bedeckt, lag der Tannenbaum, der noch wenige Tage vorher so prachtvoll ausgeschaut hatte. Niels sah auf das braune Geäst, das strohtrocken geworden war durch den warmen Festraum. Er müßte prachtvoll brennen, der Baum! Seine Gedanken klammerten sich an die Wärme, um so mehr, als der kalte Ostwind ihm gerade eisig um die Ohren sauste. In seiner Erinnerung flammte ein heißes, hohes Feuer auf - wann war doch dieses Feuer gewesen? Niels rechnete. Vielleicht 1939? - Vielleicht früher in irgendeinem Jahre - lange war es her - aber eins war ihm ganz gewiß: Es war das Feuer des Biikebrennens, das vor seiner Seele flackerte und ihm das Herz warm machte. - Biikebrennen, Petritag! Ja, alter Tannenbaum, dazu bist du gut: Für die Flammen der Biike!
Während des Krieges hatte es kein Biikebrennen gegeben. Aber nun? Der Krieg war ja beendet? Ob wohl - wie früher - irgend jemand die Tannenbäume abholen würde?

Niels erinnerte sich, daß es schon immer ein Vorrecht der Konfirmanden gewesen war, für die Biike zu sammeln - und jetzt war er ja selber Konfirmand. Was war das für ein freudiger Schreck! Niels Klasen, du bist im Jahre 1946 verantwortlich für die Biike! Niels Klasen, dich werden die Sylter schief ansehen, wenn in diesem Jahre aus dem Feuer nichts wird.

Niels hatte die Kälte vergessen. Sein Herz war ein Feuer. Er sauste los, ohne Mütze, ohne Mantel! Er klopfte bei Peter und Rudi, bei Jens und Hein und hier und dort bei seinen Mitkonfirmanden - und alle entbrannten in heller Begeisterung: In diesem Jahre machen wir die Biike, und es soll ein Feuer geben, das alle anderen Feuer in den Schatten stellt. - Am Dienstag nach der Konfirmandenstunde sollte dann alles genau besprochen werden. Jeder sollte sich seine Gedanken und Pläne schon zurechtlegen.


8. Januar -
Große Konfirmandenbesprechung

Die Konfirmandenstunde verlief so, wie jede andere Stunde bisher auch verlaufen war, nur würde ein aufmerksamer Beobachter die Unruhe der Konfirmanden bemerkt haben. Einer, der ein-. Uhr besaß, wurde dauernd aufgefordert: Wie spät ist es? Dauert die Stunde noch lange? Ein anderer malte lauter große Feuer in sein Spruchbüchlein und tat damit kund, wie es in seinem Herzen ausschaute. Niels aber wurde plötzlich von der ängstlichen Unruhe befallen, daß das Anrecht der Konfirmanden an der Biike durch den Krieg ausgelöscht sein könnte und daß vielleicht schon andere mit dem Holzsammeln begonnen haben könnten.

Dann war der Unterricht beendet, und aus dem Durcheinander der Stimmen löste sich der große Plan: Die Biike sollte nicht nur eine gewöhnliche Biike sein, sondern zugleich ein Zeichen des Friedens; darum aber mußte sie besonders hoch brennen.

Am nächsten Tage sollte das erste Mal gesammelt werden - und dann jede Woche ein- oder zweimal bis zum 21. Februar. Peter wollte seine Eltern um Pferd und Wagen bitten. Die Sägewerke, Baufirmen und Tischlereien des Ortes, ja, der ganzen Umgebung mußten angegangen werden um Altmaterial: Holzreste, Teerreste, Altöl und alles, was sonst irgendwie brennt. Rudi, der allerlei verwandtschaftliche und sonstige Beziehungen zu solchen Firmen hatte, übernahm die Aufgabe. - Bei den abgebrochenen Barackenlagern mußte Dachpappe gesammelt werden, und für den Weststrand wurde ein täglicher Suchdienst durch Hauke und Otto übernommen. Kein Stück Holz, das die Flut anspülte, sollte ihnen entgehen. Hannes erklärte sich bereit, seinen Vater, den Baumeister Jan Peters, nach einer Tonne zu befragen, und Kai wollte wohl den großen Pfahl beschaffen. In Ottos geräumiger Scheune sollte alles Brennmaterial bis zum Biiketag gelagert werden, und an das breite Scheunentor konnte für alle weithin sichtbar angekreidet werden, wieviele Bund Stroh und Tannenbäume bereits gesammelt waren. Ottos bissiger Hund lag auf dem Hof an der Kette und paßte auf, daß nichts gestohlen wurde.

Welch gewaltige Pläne haben hernach wohl noch die Herzen der Konfirmanden bewegt?


12. Januar -
Eine Länge aus Großvaters alter Seemannspfeife

Niels hatte mit seinen Kameraden zusammen bis in die Dunkelheit hinein tüchtig gesammelt. Was machte es, daß ein fürchterliches Wetter war?! Spät abends kam er mit einem Loch in der Hose und nassen, fast erfrorenen Füßen nach Hause. Mutter war davon nicht erbaut, und es machte ihr gar keinen Eindruck, als Niels berichtete, daß er nach manchen vergeblichen Versuchen schließlich doch den dicken Pfahl für die Biike aus dem Meere gezogen hatte. Schon wollte sie Niels ausschelten, aber da legte sich Großvater Klasen für den Jungen ins Zeug. "Laß doch, Mutter! Wir haben's zu meiner Zeit ja ebenso getrieben." Großvater sog lang an seiner Pfeife und blies dicke Tabakswolken in die Stube. Es war eine so schöne Dämmerstunde - und gerade, als der Junge hereinkam, war er mit seinen Gedanken weit, weit zurück gewesen in seiner eigenen herrlichen Jungenszeit - damals, als die Sturmfluten noch jedes Jahr in das Land kamen - damals, als jährlich im Februar die Biiken wunderbar in die Nacht leuchteten mit solchen Flammen, wie er sie nie wieder gesehen hatte - damals, als er am Petritag mit der lütten Gonnel Jansen so schön tanzen konnte und .....

Großvater tat einen langen, langen Zug aus seiner urmächtigen Seemannspfeife, und hundert Sehnsüchte und Gedanken an schönste Zeiten wurden in der Tiefe des Pfeifenkopfes, in dem es geheimnisvoll knisterte, wiedererweckt und zogen so deutlich wie lebendige Bilder vor seine Seele, daß er zu erzählen begann. Niels hatte sich schon über das Abendbrot hergemacht aber als die dicken Tabakswolken vom Großvater wie stolze Segelschiffe ankamen und als Ladung die schönsten Geschichten mitbrachten, vergaß er das Essen und hörte gespannt zu, was berichtet wurde.

Großvater erzählte:

"Ich bin ja nun fast neunzig Jahre alt, und viel ist bei mir nicht mehr dran - nur noch Haut und Knochen. Aber früher - Junge! Da war ich genau solch ein flinker und strammer Bursche wie du! Weihnachten war uns manchmal gar nicht so wichtig; aber wenn Biikebrennen und Petritag kamen, dann waren wir Jungen nicht mehr zu halten. Das waren unsere allerschönsten Feste. Gleich nach dem Weihnachtsfest ging es los; ja, wir hätten am liebsten schon die Tannenbäume am Heiligen Abend eingesammelt, so besessen waren wir von unserer Aufgabe. Na, es war ja schließlich auch keine Kleinigkeit, sieben Jahre lang mit sehnsüchtigen Augen zuzusehen, wie die "Großen" der Schule sammelten, sieben Jahre lang warten zu müssen, bis man schließlich selbst zu den Großen" zählte. Wenn man so lange wartet, ist der Eifer doppelt so groß - oft größer als gut tut, denn manchem, der kein Stroh für das Biikefeuer geben konnte oder wollte, haben wir heimlich ein Stück seines Zaunes abgerissen. Alle mußten geben - alle!

Wenn dann der 21. Februar gekommen war, ging, es gleich nach der Schule los. Das Holz wurde zusammengefahren und außerhalb des Dorfes auf den seit alters her dafür bestimmten Hügeln zu einem hohen Berg aufgeschichtet. Die Schichtung war außerordentlich kunstvoll, denn mancherlei mußte dabei beachtet werden: Die Biike mußte mit einem Schlage in vollen Flammen stehen! Die Biike mußte heller brennen als die Feuer der Nachbardörfer! Die Biike mußte länger brennen als die Feuer der Nachbardörfer! - Immer wurde eine Kanne Petroleum bereitgestellt, und an der Windseite schob man mehrere Bund Stroh unter den Reisighaufen. Es war ein ehrgeiziger Wettbewerb unter uns "Biikemachern" - Dorf gegen Dorf - und wir hätten uns wohl zeitlebens schämen müssen, wenn unser Feuer nicht das stolzeste von der Insel gewesen wäre, oder wenn es trotz nassen Wetters nicht sofort lichterloh gebrannt hätte. Viel Arbeit kostete es, den Pfahl mit der teergefüllten Tonne aufzurichten, der inmitten des Holzberges stehen mußte. Diese Arbeit, besonders schwer bei hartgefrorenem Boden, ging aller anderen Arbeit voran. Ganz früher hatte man ja nur eine Strohpuppe auf dem Pfahl, aber nach und nach war es üblich geworden, ihr eine Teertonne in den Bauch zu bauen - und heute hat man fast nur noch die Teertonne. Wenn ihr Meister Jan Peters fragt, dann wird der euch über die Teertonne noch mancherlei berichten können, was man wissen muß, wenn man biiken will. - Die Strohpuppe auf dem Pfahl stellte eigentlich den Winter dar, der am 21. Februar fröhlich verbrannt wurde. Es wird sogar berichtet, daß er nach dem Biikebrennen wirklich und wahrhaftig abgezogen sein soll.

Wenn alles fertig war, wurden Wachen aufgestellt - die stärksten Jungen von uns - denn es war vorgekommen, daß die Nachbardörfer das ganze Holz im letzten Augenblick für ihre Biike davongeschleppt hatten oder gar die fremde Biike vor der Zeit anzündeten. - Auch als ich damals bei unserem Haufen Wache stand, waren vermummte Gestalten erschienen, die im weiten Bogen um den Holzstoß schlichen. Sie hatten sich aber nicht herangetraut und zogen es vor, beizeiten wieder zu verschwinden. Welch eine schöne Belohnung war nach der Arbeit dann das großße Feuer, um das sich alle Menschen unseres Dorfes versammelten." Großvater sog an seiner Pfeife. Sie war leer. Die schönen Tabaksqualmsegler blieben aus und die Gedanken auch. Niels machte sich über sein Abendessen her und nötigte seinem Opa zwischendurch das Versprechen ab, ein anderes Mal wieder eine Länge aus der Seemannspfeife zu erzählen.


14. Januar -
Das Journal der Brigg "Inge Maria" von Sylt

Niels und Peter hatten in der Seemannskiste des längst verstorbenen Kapitäns Christensen gewühlt und unter anderem ein Buch mit allerlei Eintragungen, Zahlen und Vermerken zu Tage gefördert, das ihr ganzes Interesse in Anspruch nahm. Es handelte sich offensichtlich um ein Seemannsbuch, und Großvater Klasen, der ja einstmals auch die Weltmeere bereiste, werde ihnen gewiß manches erklären können. Großvater nahm das Buch mit einem Schmunzeln in die Hand. "Es ist das Tagebuch der "Inge Maria" von Sylt." Niels dachte an seine hübsche Schulkameradin, die auch Inge Maria hieß. Aber Großvater brachte ihn schnell auf andere Gedanken, als er von dem stattlichen Schiff "Inge Maria" zu berichten begann, das dem Kapitän Christensen aus Keitum gehört hatte.
Bevor der alte Weltenfahrer aber sein Erzählen anhub, stopfte er sich seine Seemannspfeife, und als die Tabakswolken wieder wie große Viermaster durch das Zimmer segelten, vergaßen die beiden Knaben Zeit und Stunde.
"Vor etwa 150 bis 200 Jahren gab es auf Sylt und den anderen Inseln noch sehr viele Seefahrer. Stellt euch vor: über hundert Kapitäne mit eigenen Schiffen und obendrein noch gut hundertfünfzig Männer mit Steuermannspatenten allein auf Sylt! C. P. Hansen, der Berichterstatter von Sylt, hat mir in meiner Jugend oftmals von dieser herrlichen Zeit erzählt. Überall waren die Sylter Seeleute zu Hause - auch dort, wo hoch im Norden das ewige Eis wächst, wo die Walfische sich tummeln und die Seehunde leben. Dorthin ist auch die "Inge Maria" gefahren. Man kann es aus dem Journal ersehen, in das all die Ereignisse während der Fahrten eingetragen wurden."
Großvater blätterte und vergaß eine Zeitlang das Reden. Die kurzen Notizen mochten ihm gewiß viele Erinnerungen wachrufen. Aber dann las er vor:

"Montag, den 21. Februar 1796
Am 3. Tag in See von Hamburg - General - Cours N 19_ Ost - Küste von Silt gesichtet - 12 Uhr ellenbogen pasiert 1 1/2 Uhr nachmittags Ankerten wir im Watt vor Keitum in 21/2 fd. Tiefe zu 12 fd. Kette - hohlten die Segels ein - nachts steifer Wind von Oster- Abends 8 Uhr setzten wier die Wache mit 1 Mann - sonst alle Besatzung an Land zum Biekebrennen.

Dienstag, den 22. Februar 1796 -
Morgens schiff gereinigt und Verdeck geklahrt - nachmittags alle Besatzung an Land, feiert Petritag - 8 Uhr die Wache mit 1 Mann gesetzt. -

Mittwoch, den 23. Februar 1796 -
1.Tag in See von Keitum - um 3 Uhr morgens banden wir ein Reff in die Merssegels, lichteten unser Anker und stellten die dienlichen Segels und gingen unter steifen Ostwind mit Ebbstrom davon - 4 Uhr ellenbogen pasiert - West-Cours auf offene See -"

Ja, da hatte die "Inge Maria" von Hamburg kommend Keitum besonders angelaufen, um das Inselfest mitmachen zu können.
Großvater blätterte weiter. "Das nächste Jahr ist auch noch eingetragen. Im Oktober war die "Inge Maria" wieder in Hamburg, löschte dort die Ladung, wurde überholt und ankerte Mitte Dezember für den Winter im Königshafen von List. Von dort ging die Fahrt im Frühjahr wieder los.

1. Tag in See von List - 21. Februar 1797 -
Wier lichteten unser Anker und setzten Segels - gegen 5 Uhr morgens verliesen wier List unter günstiger Briese von WNW - 6 Uhr ankerten wier vor Keitum-Hafenrinne - nahmen Capitainskisten an Bord - Wind sprang auf ONO, sehr steif - mußten Wattenmeer wegen Ost-Sturm sofort verlassen - Wasser lief schnell ab - Um 8 Uhr lichteten wier Anker - 81/2 Uhr pasierten Hörnum und Amrumbänke -steuerten, Nord - 10 Uhr ankerten erneut vor Westerlandt in 7 fd Tiefe zu 30 fd. Kette - befestigten die Segels. Tags und Nachts Sturm aus ONO - Um 8 Uhr abends Wache mit 1 Mann gesetzt - 6 große Feuer auf Silt gezählt.

2. Tag in See von List - 22. Februar 1797 -
Sehr steifer Ost-Nord-Ost-Wind - Schiff nimt Wasser über Schneetreiben und schlechte sieht - Wind nimt wieder zu - grobe See - es weht bereits ein Sturm - wier mußten Vock und Schonersegel festmachen und das Brigsegel dicht reffen - wier erhielten starke Seeen mit über und daß Schiff arbeitet sehr schwer - ein hochtürmender See drohete uns, Gefahr - daß schiff arbeitet außerordentlich schweer - 9 Uhr abends legte sich die See bedeutend - Wind nimt auch ab - gantze Mannschaft soweit abkömlich feiert an Bord Petritag - An Bord alles wohl! -

Seht ihr, Jungen, so sehr war der Sylter an seine Feste gewöhnt, so sehr hing er an ihnen, daß er seine Reise unterbrach, um daran teilzunehmen, daß er einen Tag lang vor Sylt ankerte, um abends die Feuer zu sehen und daß er mitten unter die sachlichere Eintragungen im Journal die Vermerke über das Fest machte. Genau wie die "Inge Maria" habe ich einmal an einem 21. Februar auf einem holländischen Schiff vor der Sylter Küste gelegen. Wir waren auf der Fahrt nach Bergen in Norwegen, und ich hatte mit dem Steuermann eine Wette gemacht, daß in den Abendstunden ein großes Feuerwerk auf Sylt sein würde. Der Kapitän bekam auch Wind von der Wette und lachte mich aus. Schließlich hatte ich aber doch recht, denn überall - nicht nur auf Sylt - flammten die Feuer auf. Nie vergesse ich diesen Anblick, wie im Nachtdunkel die glühenden Augen der Biiken aufschlugen und leuchtend zu uns - zu mir - herübersahen. In Gedanken sah ich meine Frau mit den beiden Kindern dort irgendwo am Feuer stehen, sah die Sylter um ihre Hügel versammelt und glaubte, das Singen und den Jubel zu hören. Hätte ich damals nur ein eigenes Schiff gehabt - ich wäre gewiß mit den Syltern am Feuer gewesen und hätte ein frohes Herz gehabt. Aber auch so - draußen auf hoher See - war das Erlebnis für mich unverlöschbar, und immer, wenn einmal irgendwo in fernen Ländern oder auf weiten Meeren der 21. Februar kam, dann spähte ich hinaus in die Nacht, ob nicht irgendwo die heimatlichen Feuer aufflammten."


25. Januar -
Ein Erlebnis auf der Heide

Niels und Peter waren am Nachmittag bei Bekannten in Kampen gewesen, und weil für den Abend Mondschein zu erwarten war, hatten sie es nicht sehr eilig mit dem Heimweg. Erst in später Stunde brachen sie auf. Die wundervolle, klare Nacht hüllte sie sofort in ihren tiefen, stillen Mantel, so daß die Knaben die Kälte der Winterszeit kaum spürten. Schweigen legte sich wie ein Gebot über sie - so gingen sie über die Heide. Ringsum lagen wie versteinerte Tiere der Urzeit die verschneiten Buckel der Hünengräber. Das Mondlicht glitt wie ein Hauch darüber hin und schwamm in langen Zügen von Hügel -zu Hügel. Doch, was war das für ein Schatten? Stand da nicht eine Gestalt riesengroß über dem Jüdäälhoog? Die Knaben erstarrten vor Entsetzen. War das ein Mensch oder ein Geist, oder war gar der Tote aus seinem Hünengrab gestiegen? Lange standen sie sich gegenüber - regungslos die Knaben, leise schwankend wie ein Baum- im Winde der Schatten. Ungewöhnliches geschah weiter nichts. Niels faßte sich also ein Herz und sprach die Gestalt an. Mit unwirklich klarer, frostiger Stimme erfolgte die Antwort: "Kommt her! Ich bin vom Jüdäälshoog der Alte. Nichts tu ich euch! Wissen will ich, wann ihr Menschen wieder den heißen FlammenpaIast erbauet auf meinem Totenhaus?! Mich friert, seit ihr die Biike vergessen! - Als ich noch Mensch war wie ihr in grauer Zeit, war schon die Biike Ahnenerbe, und sündhaft das Vergehen, ihren Feuerglanz zur heiligen Stunde des Things nicht zu entfachen. Opfer waren unsere Feuer den Göttern im hohen Himmel und auf grünender Erde. Ruf war ihr glühender Glanz den Vätern und Frauen des Volkes, zu Rat und Thing zu treten. So standen beieinander Thingrat und Thingopfer. Woda, Herrscher über Sturm und See, Wächter über Meerfahrt und Fischfang, Lenker von Schwert und Rat, ist unser großer, guter Gott. Seine Gunst zu gewinnen, opferten wir in fressender Flamme Tier und Gut, Und hell lief unser Ruf vor die Füße der Götter: Wetke tiare! Nimm es an, unser Opfer, großer Woda! Ho, wie brannte der Winter heiß von der Stange. Frühling, tu auf deine blauen Blütenaugen, erwache, denn sieh, leuchtend läuft ins Tal hinab ein strohumwickeltes, brennendes Rad. - Ihr habt Vergessen! Vergessen die Götter, vergessen das Erbe der Väter, vergessen das heilige Feuer, der Biike. Wir Alten müssen kommen, danach zu rufen! O - mich friert! Entzündet heiliges Feuer! - Wärmet mich!"

Niels und Peter sahen sich an. Hatten sie geträumt? Wo war die Gestalt? Ein Schaf stand auf dem Jüdäälshoog und lief unbeholfen über die krachende Schneekruste. Der Mond sang ein Lied des Friedens, und sein Instrument aus silbernen Strahlen hatte nur einen aber einen himmelsweiten Ton.

"Beim Barte meines Großvaters," sagte Peter, "ich glaube, da war einer und sprach mit uns. Mir ist noch ganz schwach! Hörtest du? Er erzählte vom Biikebrennen. Na, wir werden ihm diesmal ein Feuer machen, an dem er sich Hände und Füße wärmen kann!"

Ganz geheuer war den Jungen die Geschichte nicht. Das Schaf auf dem Hügel war doch recht verdächtig. Sie beeilten sich sehr, nach Hause zu kommen.


29. Januar -
Die dritte Pfeifenlänge

Der Sturm brauste wie ein Ungewitter, polterte im Schornstein und rüttelte am Fenster. Schnee, Regen und Hagel wirbelten um das Haus. Niels hatte Peter zu sich geholt; denn Großvater hatte versprochen, wieder eine Pfeifenlänge zu erzählen aus vergangenen Tagen. Nachdem Opa Klasen sich zu seiner Zufriedenheit nach dem Fortgang des Biikesammelns erkundigt hatte, auch erfahren hatte, daß bereits ein tüchtiger Berg Holz in Ottos Scheune aufgetürmt war, daß eine Tonne beschafft war und der Pfahl bereitlag und daß Teer und Altöl gestiftet worden waren, setzte er seine Pfeife in Gang und segelte mit den Jungen davon in die Vergangenheit. "Wievielmal bin ich nun schon am Abend des 21. Februars hinausgewandert zu den Hügeln zum Biikebrennen, bei Sturm und Regen, Frost und schönstem Sternenhimmel?! Jedesmal wieder zog das Ereignis Männer und Frauen und Kinder aus den warmen Stuben hinaus auf die Straßen, und auf den Anmarschwegen wanderte erwartungsfroh das Inselvolk. Nicht die Neugier lockte die Menschen aus den Häusern, sondern es war, als wenn Väter und Urväter zu heiligem Dienst riefen. Ein großer, feierlich-froher Menschenzug zog in all den Jahren über Marschland und Heide zu den alten Stätten der Biike. Manchmal war eine Kapelle dabei oder eine F'ahne oder auch Soldaten; oft gingen wir auch nur als schweigende, den erhabenen Dingen lauschende Menschenschar - und immer war es schön! Volkstrachten und schöne Kleider waren der Schmuck der Frauen. Die Männer holten sich den Schmuck aus dem Feuer: Eine Holzfackel, ein brennender Strohwisch! Die Kinder hatten Fackeln und Laternen. Im Scheine des mächtigen Feuers erloschen Feindschaft und Haß. Sie wurden klein vor der Macht der Flammen. Menschen, die, sich erzürnt hatten, reichten sich die Hand. -Die Frauen nahmen Abschied von den Männern, die in den nächsten Tagen wieder hinausfahren würden auf die See. Oft war es ein Abschied für lange Jahre, und mancher Seemann, der froh hinausgefahren ist, ist nie zur Heimat zurückgekehrt. Im großen Rund umstanden die Menschen das Feuer. Kinder sangen alte Lieder. Die Berufenen der Ortschaften hielten eine Ansprache, und draußen auf dem Meere lag wohl schon dieser oder jener Fischer, der es eilig hatte mit der Ausfahrt und freute sich über den Flammengruß.
Und wenn erst eine Biike ihren Strahlenschein in die Nacht geworfen hatte, dann dauerte es nicht mehr lange, und überall bei den Nachbardörfern loderten die anderen Feuergrüße empor. War das Wetter klar, so konnte man weit im Süden den Feuerschein der Föhrer Biiken erkennen.

Welch ein Jubel, wenn mit großem Getöse und wildem Prasseln die Tonne von der Stange in die Flammen fiel. War das das Zeichen zum Aufbruch für die Alten, so begann jetzt das fröhlichste Treiben für die Jugend, die mit Holzscheiten, Strohwischen und Teerfackeln ein wahrhaft funkensprühendes Feuerwerk entfachten, wobei sie die Biike soweit eindämmte, daß ein jeder hin- und herüberspringen konnte. Erst wer seinen Sprung getan hatte, durfte nach Hause gehen.
Wer denkt jetzt. noch an die alten Bräuche? Wer denkt daran, daß man mit der Biike einem Heidengott geopfert hat? Wer weiß noch, daß das Feuer die Männer zum Thing rufen sollte? Wer erinnert, daß das Feuer zu einem Abschiedsfest gehörte für alle Seeleute, die hinauszogen auf das Meer, und daß die Flammen leuchten sollten, wenn die große Fahrt der Kapitäne begann? Wer denkt noch daran, daß man den Winter verbrannt und das Frühjahr geweckt hat, daß man über die heiligen Flammen der Biike gesprungen ist, um durch die Kraft des Feuers Gesundheit zu erlangen?
Das Tun der alten heidnischen Opfernacht hat einen anderen Sinn gewonnen; dennoch aber weiß und fühlt jeder: Die Biike ist mehr als ein gewöhnliches Herdfeuer. Sie ist ein Zeichen für die friesische Schicksalsgemeinschaft im Kampf gegen den Sturm, das Meer und die Tyrannei." -

Großvaters Pfeife war ausgebrannt. "Gute Nacht, Peter! Gute Nacht, Niels!"


30. Januar -
Ein seltsamer Traum

Kaum war Niels ins Bett gekrochen, so zog der Schlaf ein buntes Traumband durch seine Jungenseele, und in tausendfachem Farbenglanz schwammen wundersame , Bilder an seinen Augen vorüber. Vor ihm - zwischen Westerland und Keitum - lag der alte Thinghoog, der majestätische Schweiger inmitten des Flugplatzgetöses. Ringsum standen fremdartig gekleidete Menschen, von denen besonders die Frauen mit ihren tiefroten Röcken und Strümpfen, den prunkvollen Umhängen und den schwarzen, hohen Silbertalerhüten seine Aufmerksamkeit erregten. Wie nur das Rot der Kleider so hell glühte - aber das war ja richtiges Feuer - Biikefeuer! Die Menschen schrieen und lachten, und die Glut der Flammen, der Kleider und der Herzen verschlang sich zu einem großen Flammenmeer: Biikefeuer! Im Qualm aber schritten wie auf einer Treppe die Männer in rauchgrauen Gewändern auf und ab und hatten Steuerräder, Fischernetze, Ruder und anderes Gerät in den Händen. Der Winter saß blaß und frierend vor Hitze in einer Strohhose auf der Stange und schimpfte auf das unvernünftige Feuer. Da wehte mit einem dunklen Mantel eine Nachtgestalt aus dem Himmel herab, griff in die Flammen, hob eine Krone aus goldenen Funken heraus und krönte sich damit: Ein König der alten Friesen! Der Winter stürzte mit einem Schrei in das Feuer, die Frauen mit den brennenden Röcken faßten sich zum Reigen, und die grauen Männer ordneten sich inmitten des Reigens zu einer turmhohen Pyramide und trugen auf den Schultern den König mit der Funkenkrone und dem Nachtmantel. Der König riß den brennenden Pfahl aus dem Boden, hielt ihn wie ein Fanal in die Luft und sang mit der Stimme des Nachtsturmes das Lied der Biike. Die Menschenstimmen fielen ein zu gewaltigem Chor:

Dann warf der König den brennenden Pfahl wie einen Speer in die Nacht. Gleich einem Kometen zog das Wurfgeschoß seine Bahn durch die Dunkelheit, und hunderte von Nachtvögeln aus Watt und Heide sammelten sich um das Licht und folgten als unruhige Schatten, bis das Feuer herabfiel auf den Wet-Hoog, östlich von Tinnum, und prasselnd die Biike entzündete, die dort aufgeschichtet war. Die Vögel schwirrten erschrocken um das Feuer, erhoben ein vielstimmiges, unheimliches Geschrei und klagten über die vom Meer verschlungenen Marschen. Jetzt konnte Niels die erregten Tiere als die Geister der in Sturm- und Wassersnot ertrunkenen Menschen erkennen. "Woda, hilf uns! Hier am Wet-Hoog, deinem Opfertisch, bitten wir Geister um Schutz und Hilfe gegen die unersättlichen Götter der Meere!"

Eine hagere Priestergestalt stand auf aus dem Erdreich und gebot Einhalt. "Heiden!" Erschrocken flohen die Geister in die Nacht zurück. Hinter einem Stein aber kroch ein dicker, schwarzer Pudel mit eingeklemmtem Schwanz hervor, sprang dann mit großen Sätzen über die Wiesen, bis er die Dünen von Rantum erreichte. Dort setzte er sich mit teuflischem Grinsen in die Glut der bereits abgebrannten Biike, wühlte mit der Schnauze darin, scharrte und kratzte mit den Hinterpfoten und entfachte im Nu ein neues Feuer, wie es noch nie in Rantum gesehen wurde. Die Rantumer liefen in Scharen herbei und machten verwunderte Gesichter. Als aber einer auf den Pudel im Feuer zeigte und "der Teufel" rief, entsetzten sie sich sehr und liefen über die Dünen davon. Noch am selben Abend faßten sie den Beschluß, mit den heidnischen Sitten zu brechen, keine Biiken mehr zu entzünden und sich dem Christentume zuzuwenden.

Ein Mondstrahl huschte durch die Wolken hernieder, glitt suchend über das Dünenland, erjagte sich aus des Pudels Biikeflammen einen köstlichen Funken und spielte Fangball damit, sprang hinein ins Wattenmeer, hüpfte wie ein lustiges Männlein von Welle zu Welle, spiegelte sich auf dem blanken Deck eines Fischerbootes, fuhr den rauhen Seeleuten, die standen und zum Feuer schauten, kosend um den Bart, sprang mit einem herzhaften Satz ans Land und über den. Deich, schlitterte belustigt durch die Marschgräben und über das Wehl, als wenn es zugefroren wäre, und stand plötzlich staunend vor einem großen Haufen aus Stroh und Holz. O weh! So groß war seine Verwunderung, daß ihm der Funkenball aus der Hand fiel und mitten zwischen das Stroh rollte. Puff! Da brannte der große Haufen lichterloh! Der erschrockene Mondstrahl setzte sich auf ein Flammenpferdchen und ritt eiligst in den Himmel zurück.

Rings um das Feuer standen alte, mächtige Bäume, die sich majestätisch dem Feuer zuneigten. Ein Mann mit einem Schwert trat nun in den Lichtkreis des Feuers, tauchte seine Waffe in die Flammen, hob sie einer brennenden Fackel gleich wieder heraus und leuchtete in die Dunkelheit. Da sah man Menschen über Menschen stehen aus Morsum und Archsum. "Am festlichen Opferfeuer ruht heute der Streit, der sonst um diesen Baumhügel, Hilligenört, die Herzen der beiden Gemeinden erregt. Heute ist Woda-Opfer. Die alten Bäume aber werden stehen im Feuerschein, solang der Glaube an Woda lebt." Die Bäume verneigten sich tief und ehrwürdig -nach diesen Worten. Da sprang das Wagenrad, auf dem der Winter hockte, von der Stange, sprang mit gewaltigem Satz über Bäume und Menschen hinweg und lief, brennend durch die Wiesen. Das Rad sprang und lief, und je weiter es sich entfernte, desto größer wurde seine Geschwindigkeit. Es sauste über Gräben und Wege. In seiner Spur aber lachte der Frühling, der Schnee zerschmolz vor dem Licht der Flamme, und in leuchtenden Farben erblühte die Blumenwelt der Wattwiesen. -

"Hierher! Hierher!", riefen die Keitumer, als sie das Rad sahen. Da änderte das Rad seine Richtung und lief geradewegs auf den Tipkenhoog, südöstlich von Keitum, zu. Bevor es aber hinaufrollte, klopfte es auf den Berg, der hohl klang wie eine Tonne, und als es von drinnen mit Grabesstimme geantwortet hatte: "Hier liegt der Schatz," da sprang es hinein in den Holzstoß auf dem Tinkenhoog und entzündete die Biike der Keitumer. Woda stieg aus den Wolken herab, von wilden Raben und Wölfen begleitet und fragte die Keitumer, weshalb sie die Biike auf dem Tipkenhoog brannten und nicht die ihm geweihte Opferstätte, den Winjshoog, dafür gewählt hätten. Da heulten die Wölfe und hielten ihre buschigen Schwänze empor wie Windfahnen, und Woda erkannte, daß er einen falschen Wind befohlen hatte; denn die Keitumer richten sich in der Wahl ihres Biikeplatzes nach dem Wind.

In das Geheul der Wölfe mischte sich der Jammer einer kalten Stimme: "Mich friert! Mich friert!" Da griff Woda eine Hand voll Feuer aus den Flammen, und die Raben und die Wölfe rissen brennende Holzscheite aus der Keitumer Biike, und dann jagte Gott Woda mit seinen Tieren davon zum Jüdäälhoog nach Kampen und schleuderte sein Feuer auf das Hügelhaus des frierenden Alten vom Jüdäälhoog. Die Krähen und die Wölfe bauten aus den brennenden Scheiten einen Feuerpalast von ungeheurer Größe, der in so strahlendem Lichte erglühte, daß die Augen vor Pracht und Glanz schmerzten. Der Alte aber saß in seinem Hügelhaus und lachte und schwitzte, zog sich eine Jacke nach der anderen aus - und als er nackend dastand, da war ihm die Hitze noch zu groß, und er zog sich Haut und Fleisch aus, wie er es zuvor mit den Jacken getan hatte. Da blieb von ihm nichts nach als ein Haufen von Knochen. Der Feuerpalast aber ragte hinein bis in die Wolken, und sein Licht war schmerzhaft hell. Es stach fast die Augen aus, und Niels rieb und rieb weil es ihn schmerzte. Dabei zerriß er mit unvorsichtiger Hand das bunte Band, das ihm der Schlaf durch die Seele zog, und er erwachte. - Aach! das war kein Palast aus Biikeflammen sondern die Morgensonne, die lachend in sein Zimmer flutete und ihm die Augen blendete! - Ein seltsamer Traum! "Heiliges Biikefeuer wandert von Ort zu Ort!!"


6. Februar -
Eine kranke Rottgans

In den Morgenstunden war der Wind nach Westen umgesprungen, hatte zunächst Nebel und Regen mitgebracht und so warm geblasen, daß es schien, als wenn die ersten Frühlingsboten einziehen wollten. Dann war er zum Sturm geworden. Der Himmel schien ein gewaltiger, polternder Rummeltopf zu sein, so mächtig sangen die aufgescheuchten Winde ihr Lied. Das Meer brüllte in schweren Akkorden und erbaute aus dem Tosen brausender Wasser und dem Jagen rauschender Schwaden einen machtvollen Turm von urweltlichem Dröhnen und Donnern über der Menschenerde; so gewaltig, daß dem atemlos lauschenden Menschlein seine Ohnmacht zutiefst offenbar ward, daß das Tier sich erschrocken verkroch, daß Dünen und Häuser sich tief duckten und an den Boden klammerten. Niels und Peter wollten Ausschau halten nach Strandgut, um damit die Biike zu bereichern. Auf dem Wege durch die Dünen aber fanden sie einen großen Vogel - eigentlich eine Gans - aber doch nicht so groß -- und dann grau und schwarz gefiedert. Der Vogel war durch das Unwetter völlig verstört, saß zusammengeduckt in einer Dünenmulde, in der er leidlich Schutz hatte, ließ sich dort greifen und davontragen.
Zu Hause stellten die Knaben fest, daß der eine Flügel kraftlos herunterhing - wahrscheinlich sogar gebrochen war. Das Tier gebärdete sich ängstlich und zischte boshaft, wenn ein Mensch in seine Nähe kam. Futter nahm es nicht an. Die Wärme der Küche aber schien ihm wohl zu tun, und plötzlich rief es ganz laut seinen Namen: "Rott-rott!" und noch einmal "Rott-rott!" Da wußte Niels, daß es eine Rottgans war, eines jener Tiere, die in den Nächten des 21. Februar schreiend um die Biikefeuer fliegen. Niels sah die Gans mit tiefer Ehrfurcht an, denn ihm war eingefallen, daß ja die Rottgänse die Geister der ertrunkenen Friesen seien, die um ihr versunkenes Land klagten - auch wurde ihm sein Traum wieder lebendig, in dem die dunklen Geister aus der Nacht kamen und schrieen. "Rott-rott! - Krong-krong!", sagte die Gans und erzählte., "1362 versank ein großer Teil der Insel Sylt in den Fluten. Vor dem Unglück war die Insel groß und rund wie ein Ei - nachher sah sie aus wie ein Gerippe. Steidum, ein schönes Dorf auf fruchtbarem Marschland weit südlich von Keitum wurde vom Meere untergeritten. Ich lebte dort glücklich mit meiner Familie. Im Januar aber kam die Eisflut und fraß uns. Seitdem irre ich als Geist ruhelos über den Wassern und klage den Lebenden am heiligen Biikefeuer mein Unglück. Rott-rott! Krong-krong!"
Am nächsten Morgen war die Rottgans tot. Ein Fenster stand offen. War dort der Geist des alten Friesen hinausgeschlüpft zu neuer Klagewanderung?


10. Februar -
Eine ungewöhnliche Konfirmandenstunde

Pastor Reinhard sprach über das 1. Gebot. Er entwarf in lebendiger Sprache ein Bild des weisen, allmächtigen Schöpfers von Himmel und Erde und erzählte von den großen Taten unseres Herrn und Gottes. Niels aber war nicht bei der Sache. Ein Gedanke hatte plötzlich Besitz von ihm ergriffen und ließ ihn nicht los: Waren sie - er und seine Mitkonfirmanden - nicht die gottlosesten Heiden, wenn sie in diesem Jahre die Biike entzündeten, ein Opferfeuer für den Heidengott Woda an heidnisch-geweihter Stätte? Wie paßte das mit den Geboten der Christenheit zusammen? Ich bin der Herr, dein Gott! Du sollst nicht andere Götter haben neben mir! - Niels ging mit sich zu Rate: Sonst hatten doch auch in jedem Jahre die Biiken gebrannt, und gewiß hatten Pastoren und Lehrer trotzdem die Gebote gelehrt. Waren die Sylter nun Heiden oder Christen - oder nahm man es nicht so genau? - Niels war so tief mit diesen Gedanken beschäftigt, daß er wie aus einer anderen Welt kam, als Pastor Reinhard ihm eine Frage stellte, Niels konnte keine Antwort geben - aber er fragte frei heraus, wie sich der Heidenkult des Biikebrennens mit dem 1. Gebot vertrüge. Pastor Reinhard war zunächst verwundert, erzählte dann aber, daß sich im Keitumer Museum eine uralte Chronik von Nordfriesland befinde, so stark wie drei große Bibeln, die über das Leben in unserer Heimat in längst vergangener Zeit Aufschluß gebe. Darin wird neben vielen anderen Dingen berichtet, wie die Friesen zum Christentum bekehrt wurden, wie sie sich aber sehr dagegen verwahrten, wie sie den heiligen Wigbertum säbelten und den heiligen Bonifacius erschlugen; und wie der heilige Walframus fünf Jahre in Friesland gepredigt und viele Friesen bekehrt hat, wie der fromme Poppo, ein Inselfriese, als Bischof von Schleswig viele Wunder tat und viel friesisches Volk taufte und wie bald nach dem Jahre 1100 die mächtigen Kirchen auf Sylt, Föhr und Pellworm gebaut wurden und damit das Christentum festen Fuß auf den Inseln faßte.
In den Herzen der Friesen aber sah es noch recht heidnisch aus. So sehr sich die Kirche auch anstrengte - die alten Heidensitten waren genau so wenig aus den Dickschädeln der Friesen hinauszutreiben wie ihr altes Recht.
Da die Friesen nun aber so sehr an den überlieferten Dingen hängen, die ihrem Volkstum ein eigenes Gepräge geben, und sich nur langsam und mit Bedacht von ihren Vorstellungs- und Lebensweisen abführen lassen, im übrigen auch anständig und rechtschaffen sind, war die Kirche duldsam genug, die alten Heidensitten neben der neuen Lehre bestehen zu lassen. Sie wußte, daß letzthin doch der christliche Glaube siegreich sein würde.
Es mag als ein Zeichen besonderer Anhänglichkeit am Althergebrachten gelten, daß sich solche friesischen Heidensitten bis in die heutige Zeit erhalten haben. Nicht nur der Aberglaube an Hexen, Klabautermänner, Puken und Unterirdische gehört hierher, sondern auch der Brauch des Biikebrennens. Er ist im Grunde ein Heidenkult, ist heute aber - gänzlich der heidnischen Glaubenslehre entkleidet - Sinnbild der Zusammengehörigkeit der Friesen geworden. Das aber ist nicht mehr heidnisch zu nennen, sondern ist ein wertvoller Wesenszug im Volksleben, den auch die Kirche zu schätzen weiß. Ein Versuch der Kirche, das Biikebrennen durch ein anderes Fest zu ersetzen, schlug insofern fehl, als der Friese seitdem beide Feste feiert. Der 22. Februar, der im kirchlichen Kalenderjahr "Petri Stuhlfeier" heißt und an den Tag erinnern soll, da Petrus den Bischofsstuhl von Rom besetzte, sollte als Petri-Tag der dem Apostel Petrus geweihte., neue kirchliche Festtag für die Friesen sein. Man erhoffte um so mehr von diesem Fest, als es auf den Tag des friesischen Frühlingsthings fiel. Aus dem Petri-Tag der Kirche aber wurde ein Pidersdai der Friesen, ein fröhliches, ausgelassenes Fest mit Tanz und Schmausereien, das am frühen Morgen als Kinderfest seinen Anfang nahm und erst tief in der Nacht als Volksfest seinen Höhepunkt überschritt. Einige Legenden, die sich um diesen Tag gebildet haben, erzählen, daß Petrus am 22. Februar einen heißen Stein nimmt und ihn in das Meer wirft, damit das Eis auftaue und der Frühling komme, auch, daß man Petrus mit dem Biikefeuer in das Bett leuchte und ihm den Bart absenge. - Schlechter ging es am Petritag all den Menschen, die den Namen Peter erhalten hatten: Sie mußten sich - ach, wie oft am Tag - durch einen Petritaggroschen von einem Zauber loskaufen, den ein "Bindebrief" ihnen wie eine Fessel anlegte. In dem Brieflein stand folgender Vers.

Heute ist Peterstag, da man Peter binden mag.
Wir binden ihn nicht mit Seil und Bast,
sondern mit diesem Brieflein fast (fest).

Die Kinder trugen den Brief umher und erwarben sich manchen Petritaggroschen damit. Die dann noch fehlenden Groschen gaben gerne die Eltern oder die Verwandten. Was war das nur für ein Fest! Man war reich wie ein König, durfte sich kaufen, was man wollte, brauchte nicht zur Schule, konnte schon in den Morgenstunden seine Tanzkunst zeigen, konnte, sich die extra für den Petritag gebackenen Heißewecken kaufen, die früher sogar vom Festland per Schiff herübergeholt wurden, und hatte so sehr seine helle Freude, daß das ganze Jahr vom Nachglanz des Petritages erfüllt blieb.
Die Erwachsenen feierten den Petritag auf ihre Art nicht weniger fröhlich als die Kinder. Kuchen, Kaffee und Pünsche wurden in großen Mengen verzehrt und getrunken. Der Tanz nahm kein Ende, und die Volkstänze hatten die besondere Ehre. Unablässig spielten die Musiker. Das ganze Dorf war auf den Beinen, und den Menschen sprach die Freude aus den Augen, daß alle endlich wieder einmal gemütlich beieinander waren.

Pastor Reinhard machte eine Pause, bedachte, was er gesagt hatte und lachte. Da haben meine Gedanken mich genau so weit fortgeführt, wie Niels es vorhin war - und was ich erzählte, hat mit dem 1. Gebot nicht mehr viel zu tun! Aber, was einem einmal so lebensvoll in das Knabenherz geschrieben wurde, das bleibt als glückliches Gut erhalten, lebendig genug, jederzeit als selige Erinnerung hervorzubrechen. - Doch packt nun eure Sachen zusammen, zieht dahin und sammelt in den letzten Tagen noch tüchtig Holz für die Biike, ihr "Helden von Sylt" - und wenn das große Feuer ausgebrannt und das frohe Fest erloschen ist, dann dankt für die Freude, die Gott euch gab! -


18. Februar -
Vorbereitungen und ein glüchlicher Fund

Biikebrennen stand nun so dicht bevor, daß die Ungeduldigen meinten, die Luft röche schon brenzlig. Die Konfirmanden hatten heiße Köpfe und viel Arbeit: Suchen, sammeln und schleppen! - Auch sonst wurde in den Ortschaften der Insel viel gerüstet. Der langjährige "Schimmelreiter" striegelte seinem Apfelschimmel das Fell blank, suchte den "Hauke-Haien-Anzug" und den "Deichgrafenhut" aus der Truhe und probierte vor dem Spiegel sein Mienenspiel. "Ekke-Nekkepen", der Meergott von 1939, wühlte auf dem Boden zwischen altem Plunder. "Du, Line! Wo liegt doch bloß die Meerschweinshaut, die ich mal dem Tümmler abgezogen habe?" - "Aber, Mann! Woher soll ich das wissen!? Das Netz und der Dreizack stehen doch in der Scheune, und mit dein Schilfhaaren hat vor wenigen Tagen noch der Junge gespielt!" - Die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger machte klar Schiff und putzte das grüne Rettungsboot mit dem roten Kreuz festtagsmäßig heraus, denn es sollte auf einem Wagen den Biikezug begleiten. Der Bürgermeister arbeitete emsig an einer Feuerrede, der Lehrer übte Lieder mit den Kindern, der Schuster hatte noch mehr Arbeit: Schuhzeug für die Festtage! - und die Geschäftsleute machten Schaufensterreklame mit Feuer und Tanz. In Keitum wurde der letzte Grünkohl geerntet und für das traditionelle Grünkohlessen nach dem Biikebrennen schmackhaft zubereitet. Die Knaben suchten sich die ältesten Kleider zusammen, denn das Biiken war eine sehr teerige Angelegenheit, und Mutter mußte ein halb Pfund Butter (!) herausgeben, damit der eingebrannte Dreck bis zum Petritag wieder "abgebuttert" werden konnte. Aus Konservendosen bauten sie sich "Schmokpötte". Die Dosen wurden mit Teer gefüllt und an einen Stock gehängt. Sie brannten prachtvoll, leckten gewaltig und stanken fürchterlich. Man konnte sie um den Kopf wirbeln und in die Luft schleudern, und sie gingen nicht aus. - Die Mädchen aber dachten alle schon einen Tag weiter, und die Bügeleisen und Nähnadeln kamen kaum zur Ruhe. "Mutti, bitte, bitte, das rosa Geburtstagskleid mit der blauen Schärpe!" Aber selbst Mutter hatte ihre Arbeit. "Ja, ja. nimm nur - und nun störe mich nicht länger, sonst schmecken nachher die Petritagkuchen nicht. Ich muß ja heute alles alleine machen, weil deine große Schwester schon den ganzen Morgen beim Friseur sitzt."

So war ein jeder mit seinen Vorbereitungen beschäftigt. Niels und Peter waren in der Scheune. Niels wühlte in einer Kiste mit Altmaterial, Peter wickelte alte Sacklappen um einen Stock und warf zwischendurch Wachsstücke, die er am Strande gefunden hatte, in einen Eimer mit heißem Teer. Dann tauchte er den Lumpenstock in den Eimer mit der Teermasse und drehte und wendete ihn, bis eine vortreffliche Fackel daraus geworden war. Als er Niels die Fackel zeigen wollte, saß der völlig abwesend auf der Kiste und las in einem kleinen Büchlein mit zerfetztem Umschlag. Peter sah sich das Büchlein an, und dann las auch er - und der Teer im Eimer wurde kalt und hart. "Allerlei Sonderheiten der Insel Silt", so lautete der Titel, und auf der sechsten Seite des Büchleins hatte Niels einen Bericht über die Biikefeuer und den Petritag gefunden. "Die heidnischen Friesen opferten ihrem Gotte Wodan alljährlich mit großen Feuern, die sie Biiken nannten. Für diese Opferfeuer hatten sie besondere Hügel erbaut, von denen der Winjshoog (Wodahügel) bei Keitum, der Wethoog (Wodahügel bei Tinnum) und Hilligenört (Heiliger Ort) bei Morsum genannt seien. Auch mag es hier Bedeutung haben, etwas über die heidnischen Biikebräuche zu erfahren, die noch bis in die jüngste Zeit erhalten waren. Mitten im Feuer stand auf einer Stange eine Strohfigur, der Winter. Er sollte verbrannt werden. - Ein brennendes Wagenrad wurde von den heiligen Hügeln in die Wiesen hinuntergerollt. Von den Flammen und der Glut sollte das Frühjahr geweckt werden. Brennende Strohbündel wurden auf Stangen hinausgetragen in die Felder, und mit feurigen Strohwischen lief man über den Acker. Die bösen Gewalten sollten vertrieben werden, und das Land sollte fruchtbar sein. Der Sprung über das abgebrannte Feuer läuterte und gab Gesundheit. Im Anschluß an das Woda-Opfer hielten die Friesen das Frühlingsthing, das auf den 22. Februar fiel. Nach Einführung des Christentumes wurden die Biiken nicht mehr als Woda - Opfer entzündet, sondern als Feuerzeichen, das da hieß: Kommt alle zum Thing! Daher kommt auch, der Name Biike. Wie die Baake ein Seezeichen für die Schiffe ist, so ist die Biike ein Feuerzeichen für die Bauern, die Seefahrer und den Vogt der Insel: "Kommt zum Thing!" - Wintersüber waren die Seeleute daheim, im Frühjahr aber ging es wieder hinaus auf die Meere, nachdem am Thingtag noch einmal über das Wohl des Inselvolkes beraten worden war. So wurde die Biike ein Abschiedsfeuer und der Thingtag ein Abschiedsfest. - Als der Thing seine Bedeutung verlor und nicht mehr zusammenkam, gab die Kirche dem vergessenen Thingtag einen neuen Namen: Petritag, mit der Absicht, ein kirchliches Fest daraus zu machen. Petritag aber blieb ein Friesenfest, wie es der Thingtag gewesen war.

Noch heute werden das Biikebrennen und der Petritag am 21. und 22.Februar mit viel Aufwand und Freude gefeiert. "Es sind nach wie vor große friesische Volksfeste, die die Menschen der Inseln zutiefst verbinden."

Als auch Peter den Abschnitt zu Ende gelesen hatte, ließ Niels das Büchlein in seiner Hosentasche verschwinden. Gewiß standen noch viele interessante Dinge darin. Eine Stunde später hatte jeder der Knaben zwei dicke Teerfackeln gedreht, von denen Wohl jede eine gute Stunde brennen würde.


20. Februar -
Der letzte Tag mit Baumeister Jan Peters

Der letzte Tag vor den Festtagen war dabei, seine arbeitsmüden Augen zu schließen. In der Werkstatt von Baumeister Jan Peters brannte noch Licht, und wer einen Blick durch die Fenster erhaschte, der sah eine Schar halbwüchsiger Knaben im engen Kreis um den alten Meister stehen. Auch Niels war dabei. "Noch mehr vom Biikebrennen!- Meister! Sie wissen es so schön von früher!" Meister Jan Peters wehrte ab: "Ja, früher war es am schönsten, und heute ist es nichts mehr." Niels fuhr hoch: "Es soll aber wieder werden, wie es früher war, Meister - und damit es so werden kann, müssen Sie uns erzählen, was Sie noch wissen!" Meister Jan Peters holte eine dicke Latte aus der Ecke seiner Werkstatt. "Siehso! Das ist der Pfahl! Und nun paßt auf! So haben wir's gemacht: Obendrauf kommt ein liegendes Kreuz aus dicken Brettern, und damit das Faß, das ja darauf stehen soll, nicht herunterkippen kann, werden die vier Enden des Bretterkreuzes nach unten schräg zum Pfahl hin durch dicke Latten abgestützt. Siehso! Nun steht die Tonne fest, auch wenn sie schwer ist. Ja, die Tonne! Darin steckt auch noch eine Wissenschaft für sich. Sie muß ganz besonders zubereitet werden, damit sie vorschriftsmäßig brennt. Siehso! Erst kommt der Deckel heraus, denn oben soll sie offen sein, damit sie von innen brennen kann. Um die beiden Ränder wird ganz fest ein Draht gespannt und mit Krampen aufgenagelt. Der Draht muß so fest sein, daß die Tonne nicht auseinanderfällt, wenn hinterher die Tonnenreifen heruntergeschlagen werden. Wenn alles so gemacht ist, dann geht die Tonne während der Biike nur langsam auseinander, und zwischen den einzelnen Tonnenbrettern träufelt der brennende Teer heraus. Die glühenden Spalten, die dann rund um den Tonnenbauch sichtbar werden, sind die Sonnenstrahlen, die im Biikefeuer eingefangen sind. Das Träufeln darf aber erst losgehen, wenn die Tonne fast ganz ausgebrannt ist. Bis dahin muß sie schön dicht sein. Darum läßt man manchmal auch neben dem Drahtring noch die äußeren Faßbänder sitzen, lockert sie aber. Teer und Öl und etwas Petroleum sind eine gute Mischung - nicht zu dick und nicht zu dünn! Siehso! Und das kommt dann in die Tonne hinein und obendrauf Stroh. Die Tonne soll nämlich wie eine große Fackel brennen, und da ist es sehr wichtig, daß sie von innen brennt - hört Ihr? Nicht von Außen! Durch das Stroh kann sie nun leicht angezündet werden. Früher war sogar oft einer beim Feuer mit einer langen Stange, der immer neues Stroh in die Tonne warf, bis zum Schluß die Sonnenstrahlen kamen. Dann durfte die Tonne auch von außen brennen. Meistens fiel sie dann auch recht bald in das Feuer hinein. -

Nun bin ich gespannt, ob Ihr alles so macht , wie's aus alter Sitte sein soll. - Und wenn Ihr nicht alleine fertig werdet, dann denkt an den alten Meister Jan Peters, der bei der Biiketonne schon manches Mal geholfen hat. Solange der noch einen Hammer halten kann, ist er dabei, wenns Biikebrennen heißt. Morgen ist das große Fest. Morgen lodern die Flammen. Morgen beginnen die Tage. auf die sich alle Friesen wie auf Weihnachten freuen: Biikebrennen und Petritag! Denkt einmal daran, wenn Ihr die Flammen brennen seht, und wenn Ihr tanzt und, jubelt, daß Ihr ein uraltes Friesenfest feiert; denkt daran, daß Ihr das Fest nur feiern könnt, weil Eure Vorfahren es nicht vergaßen. Gebt Euch Mühe, es weiterhin zu behalten, damit Ihr die Sitten und Bräuche unseres Volkstums Euren Kindern weitergeben könnt, damit sich die Eigenart der Friesen erhält bis in späte Tage.

Mit dem 20. Februar hörten die Eintragungen im Notizbuch Niels Klasens auf, und der Junge wollte nicht weitererzählen. Er meinte, er hätte wohl durch seine Berichte genug zu heller Feststimmung und begieriger Vorfreude beigetragen. Den Schluß, die Feste, müsse jeder selber erleben. Und recht hat er!


So wünschen er und ich für das nächste Fest
viel Holz und prachtvolles Wetter
zum Biikebrennen
und gute Musik und ungetrübtes Frohsein


Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors, weitere Vervielfältigungen bedürfen der vorherigen Erlaubnis.


Stand: 15. Februar 1996. Kontakt: Martin Borus. Zurück zum Hauptmenü.